Rückblick auf mein Lesejahr 2023 - Teil 2
Zwei anspruchsvolle, aber sehr gute Titel
„Vor dem Fest" von Saša Stanišić und „Meine geniale Freundin" von Elena Ferrante sind zwei Bücher, die mich beim Lesen Zeit gekostet haben. Beiden Werken musste ich meine ganze Aufmerksamkeit schenken, um die Handlungen zu verstehen.
Vor dem Fest hat mir mein Vater in die Hand gedrückt und gesagt: musst du lesen! Ich war zunächst skeptisch, weil es mich thematisch nicht angesprochen hat. Die Handlung war herausfordernd, nicht immer habe ich sie auf Anhieb verstanden. Und doch konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen. Zum einen lag das daran, dass mich die Sprache sehr fasziniert hat. Der Autor erschafft mit seinen Beschreibungen eindrucksvolle Bilder. Zum anderen ließen sich die Figuren partout nicht ignorieren. Es begegnen uns als Leser u. a. eine Museumsleiterin, eine Malerin, ein Glöckner und seine Lehrlinge und ein ehemaliger Oberst. Tiefgründig, eigenwillig und ausgefallen wie sie sind, wollte ich unbedingt erfahren, welches Schicksal sie erwartet. Als Leser erleben wir die Welt durch die Augen verschiedener Personen - und Tiere. Ja richtig, stellenweise tauchen wir in die Gedankenwelt einer Füchsin ein - wirklich genial.
Im Folgenden teile ich mit euch zwei Sätze aus dem Buch, die besonders eindrucksvoll sind:
[…] im Wald meißelt der Specht die Millisekunden unserer Sterblichkeit ab […] 1
[…] Geil sind nicht die paar Lichter in der Landschaft, sondern die Dunkelheiten dazwischen […] 1
Um das Buch gänzlich erfassen zu können, empfehle ich, es ein zweites Mal zu lesen. Außerdem kann es durchaus nicht schaden, geschichtlich ein wenig versiert zu sein. Insbesondere zu Themen wie die ehemalige DDR.
Ähnlich ging es mir mit Meine geniale Freundin: nicht mein Thema, nicht mein Genre, aber schwer aus der Hand zu legen, weil zum einen wieder die Sprache bzw. der Schreibstil einfach eine besondere Magie hatten. Die Figuren, muss ich sagen, fand ich allesamt unsympathisch, selbst die Protagonistinnen. Für dieses Buch wird es eine ausführlichere Rezension geben, daher werde ich nicht weiter drauf eingehen.
Nett für eine Spurensuche
Während meines Auslandssemesters in Spanien bin ich auf einen Krimi-Autor gestoßen, der aus dem Ort kam, in dem ich studiert habe - in Vigo. Das Buch „Ojos de Agua" (deutscher Titel: „Wasserblaue Augen") von Domingo Villar habe ich erst gelesen, als ich wieder zurück in Deutschland war und es hat mir sehr viel Spaß gemacht in dem Krimi alle Orte noch einmal wiederzuentdecken, die ich in Vigo besucht und z. T. tagtäglich gesehen habe. Mein Spanisch ist nicht perfekt, aber ich konnte der Geschichte trotzdem gut folgen. Wer also Krimis mag und gerade Spanisch lernt, dem kann ich die Lektüre empfehlen. Man trifft auf den Inspektor Leo Caldas und seinen streitlustigen Partner Rafael, die beide die Ermordung eines Saxofonisten aufklären. Die Geschichte ist kurzweilig, spannend und versprüht eine raue, regnerische Atmosphäre. Ich freue mich darauf, eines Tages in die Stadt zurückzukehren und auf Spurensuche zu gehen - auf der Suche nach den Orten, die im Buch vorkommen und den Orten, an denen ich bereits war.
Schönstes Cover & Schönster Titel
„Tokioregen“ von Yasmin Shakarami war ein nettes Buch für zwischendurch. Der Inhalt hat mich nicht in seinen Bann gezogen, aber er war eine entspannte Ablenkung vom Alltag. Das Cover und der Titel haben mich dafür mehr verzaubert. Gerade das Cover versprüht eine ganz besondere Magie, die sich auch in den Beschreibungen Tokios wiederfindet. Es ist sehr schade, dass ich diese Geschichte nicht zu meinen Highlights zählen kann – aber ich gehöre wohl nicht mehr zu der Zielgruppe (Kinder und Jugendliche), für die dieses Buch geschrieben wurde. Nichtsdestotrotz möchte ich das mal ganz andere Setting, den besonderen Schreibstil, die eindrucksvolle Beschreibung Tokios, die amüsanten Dialoge zwischen den Figuren und den authentischen Einblick in eine andere Kultur loben! Besonders begeistert hat mich die Hauskatze “Bratto Pitto” - sehr süß und eigensinnig, so wie es sich für eine Katze gehört. Die Idee des Buches finde ich klasse (als Schülerin ein Auslandsjahr in Tokio absolvieren und sich dort innig verlieben!), aber die Story selbst, die Protagonistin und so mancher Handlungsstrang gefallen mir nicht. Für meinen Geschmack verliebt sie sich zu schnell, sie verhält sich z. T. sehr kindisch und die zweite Hälfte des Buches wirkt an manchen Stellen unrealistisch.
Nett für einen Kurzurlaub auf dem Segelboot oder in der Therme
In „Tokioregen" geht es um Malu, die einen Schüleraustausch in Tokio absolviert. Sie hofft, dass der Tapetenwechsel sie nach einem tragischen Vorfall auf andere Gedanken bringt. Sie lernt Kentaro kennen, ein Mitschüler ihrer Klasse. Die beiden nähern sich langsam, Kentaro zeigt ihr die Stadt, lässt sie die Magie und die Einzigartigkeit Tokios spüren. Malu erlebt während ihres Schüleraustausches ein großes Erdbeben. Daraufhin verschwindet Kentaro und sie macht sich auf die Suche nach ihm.
„Um die Hecke gebracht – Rosa Reich ermittelt" von Kristina Hortenbach ist ein kurzweiliger, liebevoller Krimi. Im Mittelpunkt steht Rosa, eine ehemalige Lehrerin, die den Ruhestand nutzt, um ihrer eigentlichen Leidenschaft nachzugehen: der Landschaftsgärtnerei. Während ihres ersten Auftrags entdeckt sie Löwenknochen in der Erde und findet sich prompt in einer Mordermittlung wieder. Rosa entwickelt ein natürliches Talent für die Ermittlung und findet großen Gefallen daran. Unterstützt wird sie von ihrem Gärtnerteam, ihrem Mops Archie sowie einem ehemaligen Schüler. Ich hatte großen Spaß an Willy - ein Kollege - mit seinem rheinischem Akzent.
Nett für Abenteuer in einer fantastischen Welt
„A Broken Blade" von Melissa Blair & „Die Rote Königin" von Victoria Aveyard entführen dich in eine Fantasywelt. Wenn du abtauchen, durch Zauberwälder reiten, mit attraktiven Fae tanzen, spannende Zauberkräfte ausprobieren oder ein Königreich retten möchtest, kannst du getrost zu diesen Büchern greifen. Insbesondere auf die Fortsetzung von Die rote Königin bin ich schon sehr gespannt.
Nett für ein wenig Kitsch
„Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe" von Ali Hazelwood war eine ganz nette Liebesgeschichte mit amüsanten Dialogen und einem mal anderen Setting - Doktorandinnen an einer Universität. Zu diesem Buch wird es noch eine ausführlichere Rezension geben (Verlinkung folgt).
Nett für eine Märchenstunde
Mit „Aufstand der Elfen – Phantastische Erzählungen aus dem viktorianischen England" (eine Sammlung verschiedener Autoren) durfte ich ganz besondere Kurzgeschichten genießen, die an Märchen erinnern.
Und wo wir schon bei Märchen sind: Mit der Lektüre von Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau" habe ich eine Lücke geschlossen. Ich kenne zwar die Verfilmung von Disney und inzwischen auch die Realverfilmung, aber nicht das geschriebene Original. Es stimmte mich tatsächlich sehr traurig. Das Ende, das ich nicht verraten möchte, ist anders und die Geschichte an sich eher trostlos und grausam. Im Film verliert Arielle ihre Stimme dadurch, dass die böse Unterwasserhexe sie ihr in Form eines Lichtballs aus dem Körper „zaubert". Im Buch dagegen wird der Meerjungfrau die Zunge herausgeschnitten. Die Ähnlichkeiten zum Film halten sich in Grenzen und ich weiß ganz genau, warum ich die liebevolle Verfilmung lieber mag. Nichtsdestotrotz muss ich sagen, dass dem Schreibstil und den Gedanken der Meerjungfrau im Buch eine ganz eigene, sehnsuchtsvolle Ästhetik innewohnt.
Nett für eine Lehrstunde
Wer Lust auf ein Sachbuch und Probleme beim Führen von hitzigen Diskussionen hat, sollte sich an „Die Kunst, schwierige Gespräche zu meistern – Effektiv argumentieren, hitzige Diskussionen entschärfen und Gesprächspartner überzeugen" von Peter Boghossian und James Lindsay versuchen. Wer Anfänger ist, wird sich in Teil 1 des Buches wohlfühlen. Teil 2 widmet sich Könnern, ich persönlich habe mich damit schwergetan. Ich störte mich außerdem an den z. T. recht manipulativen Methoden und einigen Zitaten von Sokrates - für meinen Geschmack wirkten sie ein wenig fehl am Platz.

Und weil ich das Cover und den Titel so schön finde: eine Kostprobe
Das wars, mein Lesejahr 2023. Nun bin ich gespannt auf 2024 - welche Bücher mir wohl in die Finger kommen? Meine neue Challenge läuft bereits. Wer Teil 1 meines Rückblicks noch nicht kennt, findet ihn hier .
Bis bald!
P.S.: Es handelt sich bei der Nennung der Bücher um unbezahlte Werbung.