Rezension zu "Bookworm" (Robin Yeatman)
Ich stelle mir vor, wie entweder ein junger Quentin Tarantino oder ein junger Roald Dahl dieses Buch gelesen und sich gedacht haben: Ich will mir genauso verrückte Figuren ausdenken wie Robin Yeatman und sie noch verrücktere Dinge machen lassen. Ja, genau so, nur dreimal so irre und verstörend.
Das ist mein Fazit zu dem Roman Bookworm von Robin Yeatman. Im Wechsel plätschert die Geschichte mal ruhig dahin und nimmt einem dann wieder unerwartet den Atem. Zwischendurch durfte ich mich erschrecken und ekeln, manchmal fragte ich mich: Passiert da noch etwas? Ja, das tut es. Das Finale hat mich schier umgehauen, obwohl es vorhersehbar ist, wenn man aufmerksam liest und sich von vermeintlich langweiligen Textpassagen nicht blenden lässt. Das eigentliche Gruselgefühl hat sich bei mir erst gegen Ende des Buches hin eingestellt.
Inhalt
In Bookworm treffen wir auf Victoria, die mit einem Mann verheiratet ist, der nur für seine Karriere lebt. Sie liebt ihn nicht und beschließt bald, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenleben möchte. Sie denkt dabei nicht an eine Scheidung. Wie der Buchtitel schon verrät, hegt Victoria eine große Leidenschaft für Bücher. Sie nutzt diese als Quelle der Inspiration, um sich auszumalen, wie sie ihren Mann loswerden könnte, indem er sein Leben verliert. Da sie eine ausgezeichnete Vorstellungskraft besitzt, entstehen dabei urkomische bis erschreckende Szenarien.
Wir begleiten Victoria regelmäßig in ein Café. Dort trifft sie auf einen Mann, der zufällig den gleichen Roman liest wie sie. Prompt verliebt sie sich in ihn und setzt alles in Bewegung, um ihm aufzufallen. Natürlich geht sie nicht offen auf ihn zu. Sie hofft darauf, dass er sie zuerst wahrnimmt. Gekonnt fädelt Victoria dieses Treffen ein, bis ihre Beute in die Falle geht. Bis es soweit ist, nutzt sie ihre Imagination, um sich nachts in das Haus diesen Mannes zu „träumen“.
Das Besondere an Victoria
Victoria wirkt durchschaubar und unbedarft. Dass sie das ganz und gar nicht ist, wird einem erst recht spät klar. Im Grunde weiß sie nämlich ganz genau was um sie herum passiert und was sie will. Ihr wahres Ich versteckt sie vor der Welt und vor uns Lesenden sehr gut. Diese Eigenschaft macht sie unberechenbar und zu einem spannenden, angsteinflößenden Charakter. Angsteinflößend, weil sie subtil vorgeht in allem, was sie sich vornimmt und dabei geschickt manipuliert.
Victorias größte Schwäche ist es, dass sie an Seelenverwandtschaft, wahre Liebe und absolute Hingabe glaubt. Sie denkt sich hübsche Welten und Geschichten aus, in denen sie auf die perfekte Liebe trifft. Für die so vorprogrammierten Enttäuschungen ist sie vorerst blind. Sobald sie diese aber spürt, träumt sie sich in die nächste makellose Welt.
Vor einer Victoria wie in diesem Roman hätte ich Angst. Es gibt aber Situationen, in denen ich sie liebenswert finden muss. Eine Textstelle mag ich besonders gern:
She wiped her fingers carefully on a napkin before lifting the Highsmith novel and opening it to her dogeared page. Sacrilege! She looked around, almost guiltily, before she started to read.1
Als Sprach- und Buchliebhaberin finde ich diese Zeilen gleich doppelt toll. Zum einen bin ich auch der Meinung, dass man ein Buch nicht mit Eselsohren versehen sollte. Zum anderen finde ich es spannend, dass im Deutschen eine umgeknickte Buchseite Eselsohr und im Englischen Hundeohr genannt wird.
Schreibstil
Das Buch kann man gut in seiner Originalsprache (Englisch) lesen. Die Sprache ist einfach und stellenweise wunderbar poetisch. Yeatman schafft es, mit wenigen, schönen Worten die Grenzen von Vorstellung und Realität elegant verschwimmen zu lassen:
But now the fantasy was bleeding into the day, seeping from sleep to wakefulness, from psychic to physical.2
4,5 Sterne von 5
Der Roman ist dank Victorias komplexem Charakter und Yeatmans angenehmem Schreibstil ein tolles Leseerlebnis. Die Geschichte ist nicht vergleichbar mit den Geschichten anderer Bücher, die ich schon einmal gelesen habe. Der Fakt, dass Victoria im Grunde die Gegenspielerin ist, es aber schafft, dass ich als Leserin auf ihrer Seite stehe, macht das Buch umso spannender. Gekonnt rückt sie alle anderen Figuren in ein unschönes Licht, man kann nicht anders, als sie nicht zu mögen. In einigen Kapiteln geht die Handlung zäh voran, daher ein halber Stern Abzug.
Das Buch kann ich jedem empfehlen, der Überraschungen in einer Geschichte liebt und für schwarzen Humor etwas übrig hat.
Wer das Buch lesen möchte, dem wünsche ich viel Vergnügen dabei.
Liebe Grüße, eure Laurita
P.S.: Lieben Dank an meinen Papa, der für diese Rezension als Lektor konsultiert wurde. Deinen Rat habe ich gerne angenommen. Ein paar Sätze sind umformuliert worden - sie waren damit alle einverstanden.